Bravely Default
Beim Erlernen von Fremdsprachen gibt es mit dem “falschen Freund” (false friend) einen tückischen Fallstrick. Wörter, die vermeintlich eine bestimmte Bedeutung haben, weil uns ein Teil davon an etwas Bekanntes erinnert, aber am Ende doch etwas ganz anderes heißen. Ein vergleichbares Phänomen gibt es meiner Ansicht nach auch bei der Suche nach neuen Videospielen: Spiele, die aufgrund beliebter Elemente scheinbar zum eigenen Geschmack passen müssten, es aber nicht tun.
So stolpert etwa der Amazon Algorithmus regelmäßig darüber, dass Kingdom Hearts aufgrund meiner Such-Historie und dem Kaufverhalten gleichgesinnter Konsumenten ja etwas für mich sein müsste. Was, wir ihr alle wisst, natürlich nicht weiter weg von der Wahrheit sein könnte. Doch auch ich falle irgendwann mal auf einen falschen Freund rein: Das 3DS-Rollenspiel Bravely Default spricht mich auf so vielen Ebenen an, dass es für mich immer eine klare Kaufempfehlung dargestellt hat.
Ein Final Fantasy der alten Schule, nur, dass es nicht Final Fantasy heißt. Eine Geschichte über magische Elementar-Kristalle. Ein Job-System wie aus dem dritten und fünften Final Fantasy Teil. Dazu eine wunderschöne Optik mit niedlichen Stöpsel-Figuren und ein Killer-Soundtrack. Was hätte es daran von mir nicht zu lieben gegeben? Gut, der Umstand, dass Bravely Default die spirituelle Fortsetzung des von mir als misslungen erachteten 4 Heroes of Light ist, hätte mich vielleicht stutzig machen können.
Immerhin wurden einige Probleme aus 4 Heroes of Light ausgebessert: In Bravely Default gibt es recht früh und beständig eine vierköpfige Party, sodass sich das rundenbasierte Kampfsystem und die verschiedenen Jobs endlich sinnvoll nutzen lassen können. Die Grundstruktur der Geschichte mag simpel sein, aber im Gegensatz zu 4 Heroes habe ich bei Bravely immerhin das Gefühl, dass so etwas wie eine Struktur zumindest existiert.
Meine hauptsächliche Schwierigkeit mit Bravely Default ist das titelgebende Kampfsystem. Jede Figur kann per Default-Befehl verteidigen und dabei jeweils eine Runde für später aufsparen. Die aufgesparten Züge können dann als Brave-Aktion auf einen Schlag wieder ausgeführt werden. Oder, falls vorher gar keine Extra-Runden gesammelt worden sind, vorgezogen werden. Mit dem Nachteil natürlich, hinterher im Minus zu sein, und erst einmal mehrere Züge aussetzen zu müssen.
Klingt simpel, ist es ja auch, aber trotzdem kapiere ich in den Bravelys nie so wirklich, wie genau dieses System zu verwenden ist. Was gänzlich an mir selbst liegen kann. Verteidigen und Züge für später aufheben? Klingt sinnvoll für Weißmagier, die in der Regel eh kaum austeilen können, im Zweifel aber so oft wie möglich zum Heilen kommen sollten. Für offensive Jobs wirkt das weniger nützlich. Der verursachte Schaden ist eigentlich immer gleich, egal, wohin ich die Austeilung im Kampf nun hinschiebe.
In regulären Zufallsbegegnungen bietet es sich an, alle verfügbaren Brave Züge aufzubrauchen. Der Nachteil des Aussetzens tritt dabei in der Regel nicht mehr ein, da alle Gegner vorher schon besiegt sind. Bei Bosskämpfen bringt diese Strategie dagegen wenig. Hilflose Offensivkräfte sind eher hinderlich, und wiederholte Attacken bringen auch keine nennenswerten Effekte mit sich, wie das etwa in Octopath Traveler der Fall ist, wo sich Gegner mit der Zeit brechen lassen. Und klare Phasen oder Signale, wann bei einem Boss besser alle Charaktere in die Default-Defensive übergehen sollen, scheint es auch nicht zu geben.
Komplett ignorieren lässt sich das System allerdings nicht, da auch der einfachste Schwierigkeitsgrad so balanciert ist, dass ein einzelner Gegner nur mit mehreren Zügen einer Spielfigur besiegt werden kann, selbst mit ein paar Extra-Levels. Wo also auch immer die spannende taktische Tiefe dieses “Risk and Reward”-Systems liegen soll: Ich sehe sie nicht. Stattdessen plane ich in jedem Zufallskampf stumpfsinnig mindestens 16 Charakterzüge und hoffe, dass nicht ein paar Schritte später die nächste Begegnung auf mich wartet.
Immerhin lässt sich das Spielerlebnis über diverse Optionen maßschneidern. Wer sich also nicht durch viel zu viele Zufallsbegegnungen arbeiten möchte, die im Schneckentempo ablaufen und jeweils so hart wie ein Bosskampf sind, wie Bravely Default standardmäßig eingestellt ist, kann selbst nachjustieren. Bei der Kampfgeschwindigkeit gibt es die Auswahl zwischen zu langsam, viel zu schnell, und lächerlich schnell.
Der Härtegrad lässt sich auf einfach stellen, was natürlich nur mein Gefühl verstärkt, das Spielsystem nie richtig verstanden zu haben. Die Rate an Zufallskämpfen lässt sich auch beliebig einstellen, sogar auf 0%. Das hilft schon mal, sich aus brenzligen Situationen zu retten, oder einfach ein angenehmeres Spielerlebnis mit selteneren Kämpfen zu haben. Natürlich wird trotzdem ein bestimmten Mindestlevel erwartet, sodass früher oder später Erfahrungspunkte durch vermehrte Kämpfe nachgeholt werden müssen.
Allgemein finde ich es ja gut, verschiedene Einstellungsmöglichkeiten zu haben. Zumal sie Bravely Default für mich überhaupt erst halbwegs spielbar gemacht haben. Wenn ich allerdings ständig ins Optionsmenü springe, um dieses oder jenes nachzujustieren, bekomme ich als Spieler aber auch schnell den Eindruck, den Job eines Game Design Teams weiterführen zu müssen, das selbst nicht ganz wusste, wie es das Spiel haben wollten. Eine richtig gute Balance, die für mich funktionierte, habe ich leider nie gefunden.
Als Ausgleich oder Motivation gab es auch keine besonders fesselnde Story, zumindest soweit ich gespielt habe. Auch wenn versucht wurde, mehr aus der simplen Rahmenhandlung zu machen (inklusive späterer Twists), ist das hier immer noch die alte “rettet X magische Artefakte”-Geschichte. Und die funktioniert immer noch am besten, wenn nicht zu viel um den heißen Brei herumgeredet wird und ohne große Umschweife klar wird, wo es als nächstes hingeht. Dazu ab und zu mal einen Moment, um einen Charakter kurz ins Rampenlicht zu stellen. So wie es Final Fantasy V bereits vorbildlich umgesetzt hat.
Im Gegensatz dazu wirft Bravely Default bei jeder Gelegenheit vollvertonte Dialogsequenzen in den Weg, in denen gescheiterte Romanautoren ihre halbe Lebensgeschichte einbauen, nur um am Ende zu sagen, in welcher der zwei Höhlen in der Nähe es nun weitergeht. Vielleicht bin ich auf meine alten Tage auch nur zu ungeduldig. Alle anderen können sich zusätzlich noch durch optionale Partygespräche klicken oder im Menü verschiedene Bücher durchblättern. Über zu wenig Text kann sich bei Bravely Default zumindest nicht beklagt werden.
Nach einigen Stunden musste ich einsehen, dass mir Bravely Default einfach keine Freude bereitet. Trotz meiner geballten Kritik würde ich nicht einmal sagen, dass Bravely Default ein schlechtes Spiel ist. Es ist nur einfach keins für mich. Und das, obwohl alles daran eigentlich danach schreit, genau mein Fall zu sein. Es ist stattdessen mein persönlicher False Friend.