Breath of Fire II
Der in schwarz weiß dargestellte Anfang von Breath of Fire II zeigt uns den jungen Ryu, der von seinem Vater, dem Dorfpriester, einen Auftrag bekommt: Ryu soll seine Schwester Yua suchen, die mal wieder ausgebüchst ist. Er findet sie schließlich am nahegelegenen Berg bei einem riesigen schlafenden Drachen, zu dem Yua eine Verbindung zu haben scheint. Nachdem Ryu sie nach Hause geschickt hat, schlendert er selbst zurück in den Ort. Nur um festzustellen, dass hier absolut nichts mehr stimmt: Plötzlich erinnert sich keiner der Bewohner mehr an Ryu oder seine Familie.
Yua ist spurlos verschwunden. Statt Ryus Vater ist plötzlich Priester Hulk Herr der Kirche. Der nimmt Ryu als vermeintliches Waisenkind auf und lässt ihn in der Kirche übernachten. Dort trifft er auf einen anderen Jungen namens Bow, der sich mehr für die weltlichen Besitztümer von Priester Hulk interessiert als für geistlichen Beistand. Zusammen mit Ryu macht sich Bow aus dem Staub. Da es auf dem Weg zu regnen anfängt, sucht das Duo Zuflucht in einer Höhle. Dort treffen sie unverhofft auf einen grauenerregenden Dämon, doch wie durch ein Wunder überleben die beiden die höllische Begegnung.
Zehn Jahre später sind Bow und Ryu erwachsen und verdingen sich bei einer Gilde als Ranger, die alle möglichen (und unmöglichen) Aufträge annehmen. Bei einem riskanten Alleingang landet Bow in einer Falle und wird wegen Diebstahl gesucht. Ryu kann seinen Kindheitsfreund vor der Obrigkeit verstecken und zieht aus, Bows Unschuld zu beweisen. Breath of Fire II macht schon zu Beginn klar, dass die Geschichte im Vergleich zum Vorgänger weitaus mehr im Fokus steht. Entsprechend zieht sich auch ein erkennbarer roter Faden durch das Geschehen und hält die Spieler bei der Stange. Man hat zumindest die meiste Zeit nicht mehr das Gefühl, ziellos von einem Ort zum nächsten zu stolpern. Die Handlung selbst ist dabei nichts Ausgefallenes: Am Ende des Tages bedroht wieder ein großer Dämon den Frieden, und zufälligerweise ist die Kirche auch in die Sache involviert. Dafür ist die Inszenierung sehr gut gelungen. Trotz der knallbunten Märchenoptik fallen die Auftritte der Dämonen visuell und akustisch immer schön verstörend aus. Das Böse ist nicht tiefgründig, aber dafür umso respekt- und furchteinflößender.
Die Wendung der guten Kirche, die sich als korrupt entpuppt ist mittlerweile gerade bei JRPGs ein alter Hut, wobei Breath of Fire II tatsächlich eins der ersten Beispiele davon ist. Als damals zweites JRPG, das ich je gespielt habe, hat mich diese Enthüllung noch gut schocken können. Doch auch heute gefällt die Art und Weise, wie das Konzept eingebettet wurde: Die Kirche von St. Eva ist keine ominöse Organisation, die irgendwann aus dem Nichts auftaucht, sondern von Anfang an ein integraler Bestandteil der Spielerfahrung: Die erste Szene findet in einer Kirche statt. Man schlüpft in die Rolle eines Priestersohns. Die im Spiel verteilten Kirchen bieten die Möglichkeit, abzuspeichern, die Priester geben auf Anfrage Auskunft über das nächste Reiseziel der Gruppe. In diesem Zusammenhang trifft einen die Offenbarung, dass die Kirche von Dämonen unterwandert ist, natürlich viel härter, selbst wenn sie nichts Neues mehr für einen ist.
Ereignisse mit derart großer Tragweite treten erst in der zweiten Hälfte in den Vordergrund, während bis dahin eher die einzelnen Schicksale der Charaktere im Rampenlicht stehen. Lediglich in der Mitte des Spiels verliert sich die Geschichte etwas und degeneriert phasenweise zu einer MacGuffin Jagd, während der einem die Karotte gefühlt zu nah ans Gesicht gehalten wird. Immerhin gibt es selbst dabei witzige Szenarien, etwa das der übergewichtigen Königin, zu deren Rettung die Party verkleinert und in ihren Körper transferiert wird, um dann die Fettzellen in Form von Zufallskämpfen zu dezimieren. Trotzdem erinnert diese Phase doch etwas unangenehm an den ersten Breath of Fire Teil, der von Anfang bis Ende so aufgezogen war. Gegen Ende hin wird es zum Glück wieder spannend. Schade nur, dass die Immersion aufgrund der erneut schlecht übersetzten Dialoge leidet. Lustigerweise war mir das gar nicht bewusst, als ich Breath of Fire II im Alter von elf Jahren zum ersten Mal gespielt hatte, und mir ausgerechnet mit einem mies lokalisierten Spiel mein erstes Englisch beibrachte.
Die Welt von Breath of Fire II wird wie im Vorgänger in bunter und vor allem in den Kämpfen detaillierter und gut animierter Grafik repräsentiert, der eingängige Soundtrack mit zahlreichen mitreißenden Battle Themes fügt sich organisch ins Gesamtbild ein. Das Alleinstellungsmerkmal ist auch hier die Gestaltung vieler Figuren als anthropomorphe Fabelwesen, wobei man im Vergleich zum ersten Breath of Fire noch eine Schippe oben drauf gepackt hat. So ziehen wir unter anderem mit einem Schimpansen und einem muskelbepackten Gürteltier durch die Gegend. Auch sonst wissen einige Designs zu gefallen, wie das vom androgynen Baumkind Spar, oder von Nina, die im Gegensatz zu ihrem Volk aus Windia schwarze statt weiße Flügel hat. Interessant sind auch die Bezüge zum ersten Teil, der von der Handlung her mehrere Dekaden zurückliegt und vorige Inkarnationen von Charakteren wie Ryu oder Nina behandelt. Breath of Fire II bietet wie der Vorgänger eine Welt, in die man einfach gerne eintaucht. Nur dass es diesmal auch eine gute Story gibt.
Beim Gameplay ist dagegen eher eine Rückentwicklung festzustellen. Vorbei sind die Zeiten, in der alle Charaktere in der aktiven Gruppe unterwegs sind und bei Bedarf selbst während der Kämpfe ausgetauscht werden konnten. Stattdessen muss man immer selbst zusehen, dass man die fürs Weiterkommen benötigten Partymitglieder dabei hat, und die Reservisten beim Level nicht allzu weit zurückfallen. Ansonsten sieht man eventuell alt aus, wenn einen die Story plötzlich zwingt, längere Passagen alleine mit einem Charakter bestreiten zu müssen. Zudem muss man Neuzugänge oft erst mal ein bisschen hochpowern, bis überhaupt klar wird, welche Rolle sie im Kampf einnehmen können. Ryus Drachentransformationen sind leider auch nicht das, was sie vorher einmal waren: Statt sich während dem gesamten Kampf in einen Drachen zu verwandeln tut Ryu das nur in seiner Runde für einen einmaligen Angriff.
Was dafür kräftig aufgebohrt wurde ist das Transformationssystem für die anderen Charaktere. Im Spielverlauf lassen sich verschiedene Schamaninnen finden, mit denen die meisten Partymitglieder fusioniert werden können. Das wirkt sich auf die Statuswerte und in manchen Fällen auf die Farbgebung der Spielfiguren aus. Einige Konstellationen verändern das komplette Aussehen in beeindruckender Weise, was nicht nur für mehr Durchschlagskraft in den Kämpfen sorgt, sondern den ohnehin schon gelungenen Designs des Spiels noch weitere hinzufügt. Die Fusionen halten allerdings nur bei guter Gesundheit. Bei niedrigen HP oder Ableben lösen sich die Transformationen wieder auf. Ärgerlich ist, dass man die letzte Schamanin erst gegen Ende findet. Damit ist das System beim vollständigen Freischalten bereits nicht mehr besonders nützlich, da nur noch der finale Dungeon als Herausforderung übrig bleibt. Allerdings setzen einem die Gegner dort meist zu arg zu, um die Fusionen länger halten zu können, und auf halber Strecke werden sie durch ein Storyereignis aufgelöst.
Ein Nervfaktor, der sich durchs Spiel zieht, ist die Häufigkeit an Zufallskämpfen. Immerhin zeigt einem ein Männlein im Menü durch seine Aktivität indirekt die aktuelle Rate an. Das hilft aber an den Stellen, an denen es wild hin und her springt auch nicht viel. Zum Glück ist das nicht immer der Fall. Aber die Stellen, an denen man ungelogen alle fünf Schritte in einen Feind marschiert zehren doch ordentlich am Geduldsfaden. Allen voran der Enddungeon, für den man ordentlich Gelassenheit und Sitzfleisch mitbringen sollte. Auch bei Breath of Fire II gilt, dass man die ursprüngliche Super Nintendo Fassung eigentlich vergessen kann und besser zur Game Boy Advance Portierung greifen sollte. Die bietet neben einigen hübschen Standbildern auch dringend notwendigen Komfort wie die Möglichkeit, zu rennen und temporäre Spielstände anzulegen, sowie erhöhte Raten von Erfahrungspunkten und Gold nach den Kämpfen. Selbst die Soundqualität geht für Game Boy Advance Verhältnisse in Ordnung. Das langsame und grindlastige Original, das ich als Kind gespielt habe, würde ich zumindest heute nicht mehr aushalten.
Neben den etwas zu häufigen und relativ simplen Kämpfen gibt es erfreulicherweise noch weitere Möglichkeiten, in Breath of Fire II seine Zeit zu verbringen. Das Angeln aus dem Vorgänger wurde zu einem richtigen Minispiel ausgebaut (das ich leider selbst nie richtig kapiert habe), daneben tauchen auf der Weltkarte manchmal kleine Wälder auf, in denen man wilde Tiere jagen kann. Ein auch in den Nachfolgern beliebtes Feature hat hier seinen Ursprung: Der Aufbau einer eigenen Stadt während des Spielverlaufs. Dabei kann man selbst auswählen, wer sich dort ansiedeln darf, und erhält so unterschiedliche Möglichkeiten. Die reichen vom Ändern der Menü- und Textboxfarben über diverse Läden bis zum Herstellen von Gegenständen. Die Anzahl der Häuser ist dabei begrenzt, es ist also nicht möglich, alle Bewohner während eines Durchgangs auszutesten. Zusammen mit einem alternativen guten Ende gibt es also Anreize, Breath of Fire II mehrfach durchzuspielen. Wobei es sich - bei aller Liebe - empfiehlt, nach dem Abspann erst mal einige Zeit vergehen zu lassen.
Dank der verbesserten Geschichte und einem höheren Umfang stellt Breath of Fire II eine enorme Steigerung zu seinem Vorgänger dar und zählte daher nicht zu Unrecht zu den besseren JRPGs seiner Zeit. Als jemand, der auch damals in den Genuss davon kam, hat das Spiel für mich natürlich auch einen hohen persönlichen Stellenwert. Unabhängig davon gefallen mir die Handlung und die Spielwelt nach wie vor außerordentlich gut. Auch, weil es abgesehen von den direkten Nachfolgern kaum etwas Vergleichbares gibt. Dank der Game Boy Advance Version kann man Breath of Fire II immer noch ganz gut spielen, auch wenn der Zahn der Zeit spürbar daran genagt hat. Schwächen wie das anfängliche Backtracking, der maue Mittelteil, phasenweise nervtötend hohe Zufallskampfraten und der gnadenlose Enddungeon sind allesamt spürbar, aber dennoch nicht schlimm genug, um das komplette Erlebnis zu ruinieren. Dennoch sorgen sie dafür, dass man manchmal etwas Kraft und Geduld investieren muss, um die harschen Seiten überwinden zu können. Wie bei vielem, das man liebt.