Koudelka
Eine interessante Antwort auf die Frage, was Secret of Mana Komponist Hiroki Kikuta nach der Super Nintendo Ära so getrieben hat, ist “Koudelka”. Das PlayStation Spiel wurde von Studio Sacnoth entwickelt, das Kikuta eigens für sein erstes selbstproduziertes Projekt gegründet hatte.
Weitere ehemalige Mitarbeiter von Squaresoft schlossen sich ihm an. Während Kikuta in unseren Gefilden am ehesten mit dem actionreichen und bunten Secret of Mana assoziiert wird, ist das im Horror Genre angesiedelte, zugbasierte Rollenspiel Koudelka das genaue Gegenteil des populären Super Nintendo Klassikers.
“Schaurig-schön, unergründlich mystisch, sexy” - aus dem Verpackungstext.
Der Schauplatz ist ein verwunschenes Kloster, zu dem es die drei Protagonisten aus unterschiedlichen Motiven zieht. Stück für Stück decken wir die Hintergründe darüber auf, wie ein geweihtes Gemäuer zu einem mit Geistern und Monstern verseuchter Ort des Schreckens werden konnte. Dabei begegnen uns typische Schauermotive wie Mord, Erweckung von Toten und an Obsession grenzende Romantik. Die Geschichte wird stimmig erzählt und durch längere Texte aus Tagebüchern und Briefen weiter ausgeschmückt, ähnlich wie man das von Survival Horror Spielen kennt. Im Rollenspielgenre kommen Gruselstories nicht besonders oft vor, daher ist es durchaus erfrischend, statt einer Fantasy Welt nur einen Gebäudekomplex retten zu müssen, beziehungsweise möglichst an einem Stück aus selbigem zu entkommen.
Herzstück der schaurigen Angelegenheit sind die drei spielbaren Charaktere: Der großspurige Schatzjäger Edward wäre der perfekte Klischeeheld, wenn er bloß nicht in einer Tour vom titelgebenden Medium Koudelka untergebuttert werden würde. Die Protagonistin ist dabei eine derart sarkastische taffe Bitch, dass es schwer ist, sie nicht zu mögen. Dritter im Bunde ist der biedere Priester James und so beliebt bei den anderen beiden, dass sie bei jeder Gelegenheit gegen ihn sticheln. Abseits üblicher JRPG Klischees schwören sich die Partymitglieder nicht schon nach der ersten Handvoll erschlagener Monster ewig währende Freundschaft. Den Großteil der Handlung bilden Koudelka, Edward und James ein reines Zweckbündnis, das sich erst gegen Ende füreinander erwärmt. Bis dahin ist es äußerst amüsant, dabei zuzusehen, wie sich die Charaktere bei der Erkundung des Klosters immer wieder in die Haare kriegen. Dank dem für damalige Zeit alles andere als selbstverständlichen Motion Capturing und der deutschen Sprachausgabe kommen die Figuren glaubhaft rüber. Ärgerlich ist nur, dass die Stimmen doch arg leise sind und auch keine Untertitel eingeblendet werden können.
Koudelka spielt sich als Mischung aus Survival Horror und Rollenspiel wie ein klassisches Resident Evil mit eingestreuten Zufallskämpfen: Hauptcharakter Koudelka läuft als 3D Modell durch statische vorgerenderte Hintergründe, die aus stimmungsvollen Kameraperspektiven gezeigt werden. Leider wird nicht immer klar, wo der nächste Ausgang ist, wie man nun wieder richtig stehen muss, um eine Treppe zu benutzen, oder ob ein interessant aussehender Gegenstand eingesammelt werden kann oder nur als Dekoration gedacht ist. Man verliert in dem verwinkelten Gebäudekomplex und der Vielzahl an Schlüsselobjekten zudem schnell den roten Faden und kommt oft erst weiter, nachdem man alle bekannten Orte erneut abgeklappert oder das Internet zu Rate gezogen hat, obwohl die Rätsel genretypisch recht einfach gehalten sind. Insgesamt fühlt sich der Survival Horror Teil wesentlich fummeliger an als bei der Genrereferenz.
Wesentlich enttäuschender sind die Rollenspielelemente ausgefallen, allen voran das rundenbasierte Kampfsystem, das unmöglich noch langsamer sein könnte. Jede Begegnung mit dem Feind beginnt mit einer langatmigen, nicht überspringbaren Kamerasequenz. Anschließend besteht die Möglichkeit, meistens eher Pflicht, die Figur über das schachbrettartige Feld zu bewegen, und zwar mit Laufanimationen, die eher im entgegengesetzten Ende von Lichtgeschwindigkeit ablaufen. Nahkampf Angriffe gehen auch nicht unbedingt zackig vonstatten. Richtig gelitten hat man mit magischen Attacken, die einen Zug und eine Beschwörungsanimation verbrauchen. Und das ist nur die Vorbereitung, der eigentliche Zauber wird erst einige Runden später gesprochen.
Unnötig nervig ist dabei eine technische Unzulänglichkeit, die beim Einsatz von Magie und Gegenständen zu Tage tritt: Hierbei werden alle Figuren außer den an der Aktion beteiligten ausgeblendet, und am Ende wieder eingeblendet. Dieser Vorgang nimmt jeweils einige Sekunden Zeit in Anspruch, sodass die Charaktere kurz vor und eine Weile nach ihren Aktionen einfach nur blöd in der Gegend herumstehen. Die Balance und Regeln des Spiels helfen da auch wenig. Gegner stecken oft einiges an Schaden ein, bevor sie umfallen, und die zeitfressenden Zaubersprüche müssen so oft wie möglich genutzt werden, damit sie stark genug werden, um das Spiel zu schaffen. Auf der Temperaturskala von Rollenspielkampfsystemen stellt Koudelka ganz klar den absoluten Nullpunkt dar.
Während die ultralahmen Kämpfe schon ein ziemliches K.O. Kriterium darstellen, ist das Gameplay darum leider auch nicht frei von Makeln. Am harmlosesten sind ausgerechnet noch die Survival Aspekte: Heilgegenstände sind nur begrenzt verfügbar, dafür werden Charaktere bei Level Ups und an vereinzelten Weihwasserbrunnen komplett geheilt. Nahkampfwaffen zerbrechen nach mehrmaligem Benutzen, allerdings hinterlassen Gegner auch hin und wieder Nachschub, und die meiste Zeit sind direkte Angriffe ohnehin nutzloser als Magie. Natürlich kann man sich trotzdem in eine Sackgasse manövrieren, wenn man alle Manatränke verpfeffert oder die stärksten und seltensten Waffen an Billo Gegnern zerdeppert. Viel wahrscheinlicher ist allerdings, dass einen ausgerechnet der Rollenspielaspekt von Koudelka in ausweglose Situationen bringt, was in der Hauptsache dem Skillsystem geschuldet ist.
Bei jedem Level Up kann man Punkte auf acht verschiedene Statuswerte verteilen. Allerdings sind gut die Hälfte davon absolut nutzlos, während man bei den anderen ganz klare Schwerpunkte setzen muss. Wer versucht, einen ausgewogenen Charakter zu entwickeln, endet in aller Regel mit einem Nichtskönner. Also muss entweder alles in physische Stärke oder magische Kraft investiert werden. Wirklich frei ist man als Spieler dabei nicht, im Gegenteil, eigentlich ist Edward komplett dazu ausgelegt, der Tank der Gruppe zu werden, während man Koudelka und James besser zu mächtigen Zauberern macht, wenn man jemals einen der drei Abspänne zu Gesicht bekommen möchte. Es empfiehlt sich im eigenen Interesse, mit Onlinehilfen zu spielen wenn es ums skillen geht, nur hätte man das System dann natürlich auch gleich weglassen können.
Wenig Anlass zur Freude gibt auch die Art und Weise, wie Gegenstände in Koudelka gehandhabt werden. Selbst bei fix platzierter Ausrüstung sind Eigenschaften wie Elementzugehörigkeit zufällig, es ist also von purem Glück abhängig, ob man gerade die Waffe bekommt, die richtig fies in den Schwachpunkt des nächsten Bosses sticht, oder ein halbes Dutzend Dolche mit sich rumschleppt, die 90% aller Gegner heilt. Rüstungen und Accessoires sind in der Regel nützlicher, allerdings findet man die leider nur extrem selten. Ebenfalls fraglich ist, ob man bei einem Rollenspiel wirklich ein Inventar mit limitierter Kapazität einbauen musste, Survival Horror Inspiration hin oder her. Die Taschen von Koudelka und ihren Mitstreitern werden jedenfalls schneller voll als einem lieb ist. Der einzige Lichtblick ist die Liebe zum Detail, die den Gegenständen gewidmet wurde: So gibt es zu jedem Ding eine Illustration und einen längeren Text, der Wirkung und Hintergrund beschreibt.
Koudelka bietet einen schaurig-schönen Ozean, in dem ich am liebsten komplett versinken würde, wenn mir das träge und unausgewogene Gameplay bloß nicht solche Qualen bereiten würde. Das Spiel ist wie ein von innen verfaulter Apfel: Die Oberfläche hübsch aufpoliert, doch der Kern durch und durch verdorben. Bis zu allen Abspännen habe ich es dann doch noch irgendwie geschafft, mich mit Hilfestellungen, Neustarts, Pausen, Grinding, Flüchen und Tränen durch den Scherbenhaufen eines Entwicklerteams gekämpft, das sich beim Thema Gameplay nie wirklich einig werden konnte. Ihr fragt, warum? Um noch eine weitere Ecke des alten Gemäuers abzusuchen. Mich mit der subtilen Soundkulisse zu umgeben. In der nächsten Cutscene auf eine Geistererscheinung zu treffen. Koudelka dabei zuhören, wie sie Edward auslacht. Schaurige Details in einem gefundenen Tagebuch nachlesen. Zum xten mal der merkwürdigen Kampfmusik lauschen und mich verstörend gestalteten Kreaturen stellen. Die großartige Horror Welt von Koudelka war die Mühsal am Ende doch irgendwie wert.
Wer sich nach dem Lesen dieser Zeilen wider Erwarten nicht vor Pein windet und tatsächlich neugierig geworden ist, kann die vier Discs von Koudelka auch heute noch relativ günstig finden. Die ursprüngliche PlayStation Fassung ist dabei nach wie vor die einzige Möglichkeit, das Spiel zu erleben. Eine geplante Fortsetzung kam leider nie zustande, allerdings brachte Sacnoth später die Shadow Hearts Trilogie für die PlayStation 2 heraus, die immerhin in der gleichen Welt wie Koudelka spielen soll.