Legend of Kartia

Legend of Kartia

Das bekannteste rundenbasierte Strategie RPG für die erste PlayStation ist mit Sicherheit Final Fantasy Tactics. Doch in Zeiten des Internets ist es vermutlich auch kein Geheimtipp mehr, dass Konami ein damals nicht sehr bekanntes, aber charmantes Spiel aus dem gleichen Genre herausbrachte. Die Rede ist natürlich von Vandal Hearts Legend of Kartia!

Bei den titelgebenden Kartia handelt es um Schriften, mit denen sich auf magische Art und Weise alles Mögliche manifestieren lässt, etwa Feuerbälle, Nahrungsmittel, Blut oder Kreaturen. Voraussetzung ist eine gewisse Begabung beim Anwender, Kenntnis der zur Schrift gehörenden Zeichen und der Grammatik, und ein ausreichender Vorrat an Seide, Mithril oder Holz von einem Weltenbaum. Damit schmückt Legend of Kartia das Thema Zauberkräfte weiter aus, als es bei anderen Rollenspielen der Fall ist, in denen Magie aus nicht näher beschriebenen Magiepunkten beschworen wird, die sich bei der nächsten Übernachtung wie von Geisterhand regenerieren. Hier gibt es auch keine Umgebung, die so immun gegen Zaubersprüche ist, dass sich bei einem Meteoriteneinschlag nicht mal ein Grashalm umbiegt. Stattdessen zerstören Flammen und Blitze Bäume und Kisten, während Eiszauber Flüsse gefrieren lassen und sie passierbar machen.

Schwertkämpfer Kun auf dem Weg zu neuen Heldentaten

Schwertkämpfer Kun auf dem Weg zu neuen Heldentaten

Das Prinzip der Kartia wird ganzheitlich auf auf alle Spielbereiche angewendet. Sämtliche Ausrüstung wird über Schriften hergestellt, ebenso wie die Phantome, die ein wesentliches Merkmal des Kampfsystems sind. Dabei handelt es sich um Kreaturen, die nur von bestimmten Kartianutzern beschworen werden können und den menschlichen Charakteren in den Schlachten beistehen. Jeden Zug bewegt man Charaktere und Phantome über das wie ein Schachbrett aufgebaute Spielfeld, bevor der Gegner wieder dran ist. Phantome gibt es in drei verschiedenen Kategorien, die nach dem Schere-Stein-Papier Prinzip unterschiedlich anfällig für Attacken der anderen beiden Varianten sind. Dieses simple System bietet bereits einige taktische Anreize, seine Phantomkrieger so zusammenzustellen und zu positionieren, dass die Schwächen des Feindes möglichst oft ausgenutzt werden können, während die eigenen abgeschirmt bleiben.

Auch wenn sich Phantome aufleveln und in Folgemissionen mitnehmen lassen ist ihre unrühmliche Rolle am Ende doch eher die des Kanonenfutters, um die menschlichen Helden vor Schaden zu bewahren. Stirbt nämlich einer davon, ist die Schlacht sofort verloren. Hilflos sind die Charaktere allerdings bei weitem nicht, da sie mit der richtigen Ausrüstung ordentlich austeilen und durch Einsatz von Kartia mit Zaubersprüchen um sich hauen können. Im späteren Spielverlauf werden sie schnell mächtiger als Phantome, einige Strategien empfehlen sogar, gar keine Handlanger zu beschwören, um die Hauptcharaktere schneller zu Halbgöttern zu züchten.

Phantome machen sich in der Kneipe breit

Phantome machen sich in der Kneipe breit

Anfangs wirkt es noch merkwürdig, wenn ein frisch aufgeleveltes Phantom das Zeitliche segnet, aber oft ist das aufgrund des Schwächesystems nicht zu vermeiden. Und um wirklich um eins der Wesen zu trauern sind sie einfach nicht niedlich genug. Bei den meisten Missionen viele Verluste einzufahren trägt zudem viel zu dem Gefühl bei, richtige Schlachten zu schlagen. Nervig ist nur manchmal, dass man mit einer Handvoll Charaktere und bis zu zehn beschwörbaren Phantomen zum Teil sehr damit beschäftigt ist, einfach jede Einheit einmal pro Zug ein paar Felder weiter gezogen zu bekommen.

Bei den Missionen darf man nicht viel Abwechslung erwarten, in der Regel geht es darum, alle oder einige bestimmte Gegner zu besiegen. Auch die Herausforderung ist meistens nicht wirklich hoch, da man mit einigen grundlegenden Strategien gut gegen die nicht wirklich intelligenten Kontrahenten ankommt. Herausfordernder ist es eher, neben dem Gewinnen der Schlacht noch sämtliche auffindbaren Gegenstände und Texte zu borgen, die man aus Schatztruhen, zerstörten Kisten und Fässern sowie von besiegten Feinden erhalten kann. Außerhalb der Hauptmissionen gibt es noch eine Arena, in der man mit einer festen Gruppe von Phantomen und dem Protagonisten in den Kampf zieht. Erfahrungspunkte gibt es in diesem Modus nicht, dafür winken beim Sieg mächtige Ausrüstungsgegenstände. Leider ist das Bestreiten der Arena auf Dauer repetitiv und dröge, und am Ende auch nicht wirklich optional.

Höchste Zeit für einen Heilzauber

Höchste Zeit für einen Heilzauber

Die Schlachten der beiden Kampagnen sind linear angeordnet, dazwischen wird die Handlung vorangetrieben. Zu Beginn hat man die Wahl zwischen dem hitzigen Jungspund Toxa und der gewissenhaften Schreinkriegerin Lacryma. Dabei spielt man mit jedem Charakter nur die Hälfte der Kapitel, aus denen die gesamte Geschichte besteht, interessanterweise erlebt man in jeder Kampagne also nur eine Seite des Geschehens. Die Story selbst ist nichts weltbewegendes, punktet aber mit schönen Charakter Momenten und ist stimmig inszeniert. Die meisten Dialoge finden in der schon damals durchschnittlichen, charmant zweckdienlichen PlayStation 1 SRPG Spielgrafik statt, untermalt mit atmosphärischer Musik. Dabei helfen die detaillierten Porträts von Illustrator Yoshitaka Amano enorm, sich in die sonst nur als Pixelsprites existierenden Charaktere hineinzuversetzen. In einigen Monologen sieht man die Protagonisten sogar komplett als Artwork, sodass Amano seinen unverkennbaren Stil hier nicht nur im Logo und den Porträts demonstrieren kann, wie es in seinen anderen Beiträgen zu Spielen wie Final Fantasy üblich ist. Weniger anmutig dagegen kommen die damals vermutlich noch als spektakulär geltenden Rendersequenzen rüber.

Die Storysegmente haben mir so gut gefallen, dass ich bald effizienter vorgegangen bin, um die Handlung weiterzutreiben. In den Kämpfen habe ich optionale Gegner ausgelassen und nicht mehr jeden Stein des Schlachtfelds auf der Suche nach Gegenständen umgedreht, und danach die Arena kaum noch betreten. Wozu auch, immerhin konnten die Missionen auch so gewonnen werden, von ein bis zwei Fehltritten mal abgesehen, in der es doch irgendwie einen der menschlichen Mitstreiter erwischt hat. Doch damit bin ich nichtsahnend in eine gemeine Falle getappt: Bei der finalen Mission von Toxas Kampagne war kein Weiterkommen mehr möglich. Plötzlich sahen sich meine Charaktere mit Phantomen konfrontiert, denen sie kaum Schaden hinzufügen konnten. Meine eigenen Phantome fielen dagegen wie Fliegen, sobald der finale Boss mit seinen Flächenangriffen losgelegt hat. Egal, was ich für eine Taktik versucht habe, bei der feindlichen Übermacht und dem wenigen Schaden, der dem Endgegner zugefügt werden konnte, war einfach nichts mehr zu machen.

Die beiden führen nichts Gutes im Schilde

Die beiden führen nichts Gutes im Schilde

In den verfügbaren Ratgebern habe ich neben dem allgegenwärtigen Hinweis, wie lächerlich einfach Legend of Kartia doch sei, nur eine Strategie für Toxas letzte Mission gefunden, die sich auf Zaubersprüche und Ausrüstung bezog, die ich zu dem Zeitpunkt nicht mehr herstellen konnte. Letztere hätte ich noch versuchen können, durch stundenlange Gefechte in der Arena zusammen zu farmen. Ansonsten hätte wohl nur geholfen, mit besserem Wissen die Kampagne von Toxa von vorne zu spielen, oder besser die von Lacryma zu starten, damit man zumindest die zweite Hälfte der Geschichte mitbekommt. Anscheinend ist Lacrymas Szenario auch etwas einfacher, und über ein New Game+ mit übernommener Ausrüstung wäre das von Toxa vermutlich im Anschluss schnell zu erledigen gewesen. Nachdem mir jedoch nach gut zwanzig Stunden bei einem angeblich wenig herausfordernden Spiel völlig ohne Vorwarnung der Abspann verwehrt worden ist habe ich mich entschieden, das Spiel für eine Weile beiseite zu legen.

Den Ruf von Legend of Kartia, ein besonders leichtes Strategie-Rollenspiel zu sein, kann ich angesichts des drastisch hochschnellenden Schwierigkeitsgrades von Toxas letzter Mission nicht bestätigen. Die Herausforderung ist vielmehr extrem unausgewogen balanciert. Einfach ist es wohl nur, wenn man absolut jeden Gegner besiegt, jede Kiste zerstört, und sich zwischen jeder Mission die unsägliche Arena antut, oder entgegen dem, was einem das Spiel suggeriert, niemals Phantome einsetzt. Damit schafft man es hoffentlich bis zum Ende, allerdings ist das eine dämliche Taktik, da sie mehr auf stumpfsinnigem Abgrasen oder dem Brechen der Spielmechaniken und weniger auf wohlüberlegter Taktik basiert, und zudem für 90% der Missionen kompletter Overkill ist.

Angriffsformation!

Angriffsformation!

Legend of Kartia gilt dank seinem kohärenten Welten- und Spieldesign, der innovativen Mechanik der beschwörbaren Phantome, den zwei parallel laufenden Kampagnen und dem omnipräsenten Artwork von Amano nicht umsonst als Geheimtipp unter PlayStation 1 Sammlern und Rollenspielfans. Dafür muss man sich mit schon für damalige Verhältnisse durchschnittlicher Technik und einem komplett unbalancierten Schwierigkeitsgrad arrangieren. Meine Empfehlung ist, die Stimmen zu ignorieren, die behaupten, es würde sich um ein einfaches Spiel handeln, und am besten direkt zu Beginn ein paar Strategieführer zu Rate zu ziehen. Dann seht ihr im Gegensatz zu mir vielleicht auch beim ersten Anlauf, wie dieses eigentlich doch sehr charmante Abenteuer zu Ende geht.

Das auch in Europa erschienene PlayStation Original ist immer noch der beste Weg, Legend of Kartia zu erleben, da es ansonsten nur in Japan als PlayStation Network Download herausgebracht worden ist. Komischerweise funktioniert die Original Disc trotzdem nicht besonders gut mit der PlayStation 3, daher muss eins der beiden Vorgängersysteme hervorgekramt werden.