No no Kuni
Es ist mal wieder an der Zeit für einen kontroversen Verriss. Dabei fing alles so gut an: Wenn die Entwicklungsteams der neuen Dragon Quest Spiele mit den kreativen Köpfen hinter Filmen wie Chihiros Reise ins Zauberland und Prinzessin Mononoke gemeinsame Sache machen, muss doch etwas Zauberhaftes dabei herauskommen. Entsprechend hatte ich der Veröffentlichung von Ni no Kuni entgegen gefiebert.
Zum ersten Mal Hand an das Spiel konnte ich auf der gamescom 2012 legen. Da ich mir bis dahin nur Bilder und Trailer reingezogen hatte, wusste ich wenig über das Kampfsystem. Ich hatte nach den vorigen Dragon Quest Titeln von Level 5 eine schlichte, rundenbasierte Lösung erwartet, bekam aber stattdessen einen Mix aus Echtzeit, freier Bewegung und Menüs. In der gamescom Demo wurde ich ohne Erklärung des Systems direkt in zwei Dungeons mit Boss geworfen, was für zusätzliche Überforderung sorgte. Ich denke, es war kein Zufall, dass mich die Veröffentlichung von Ni no Kuni danach gar nicht mehr so interessierte, nicht mal die spätere Herabsetzung auf den 20 Euro Nice Price.
Letztens geriet der Titel dann doch noch leihweise in meine Hände. Zumindest was Optik und Atmosphäre angeht, werden die Erwartungen vollends erfüllt: Das Abenteuer beginnt in einem verschlafenen 50er Jahre Nest, und ruft den Standard Jungen Oliver als angehenden Magier in eine andere Welt, die in jedem Winkel die Handschrift vom Studio Ghibli trägt. Ein Ort ist einzigartiger gestaltet als der andere, weshalb es fast verziehen werden kann, dass einiges an Backtracking betrieben wird. Bevölkert werden die Lande von einem Haufen Kreaturen, die sowohl als Monster als auch als rekrutierbare Partymitglieder fungieren, und niedlicher (oder merkwürdiger) nicht sein könnten.
Dieses Mal musste ich das Kampfsystem notgedrungen näher unter die Lupe nehmen. Zufallskämpfe gibt es schon mal nicht, was einen Smiley ins Notenbuch gibt. Wobei Gegnern nicht immer ausgewichen werden kann, dank enger Gänge in Dungeons und der eigenen Lahmarschigkeit auf der Weltkarte.
Zu Kampfbeginn wird aus den Reihen der menschlichen Partymitglieder und Aushilfswichtel ein Repräsentant ausgesucht und in die Schlacht geführt. Nachdem der Angriffsbefehl über das Menü gewählt wurde, watschelt die aktuelle Figur zum ausgewählten Gegner und schlägt zu. Die eigenen Monster verfügen daneben meist noch über sogenannte Tricks, spezielle Attacken mit anschließendem Cooldown. Der Einsatz der Viecher ist dabei begrenzt, da ihre Durchschlagskraft nach einer bestimmten Zeit nachlässt. Dann gilt es, wieder zum menschlichen Charakter zu wechseln. Das ist auch die einzige Möglichkeit, Gegenstände einzusetzen, auf die zahlreichen Zaubersprüche und Fähigkeiten der Menschen zuzugreifen, und sich zu verteidigen, was nicht alle Monster können.
Das Geschehen findet komplett in Echtzeit statt, während sämtliche Aktionen über Menüs gesteuert werden. Leider kommen sich diese beiden Ansätze fortwährend gegenseitig ins Gehege. Die Zeit tickt unbarmherzig weiter, selbst wenn gerade die nächste Aktion ausgesucht wird. Beim Ausführen von jener kann ein gegnerischer Angriff jederzeit zu einem Abbruch führen. So nutzt manchmal die beste Taktik nichts, da bei der Durchführung jederzeit irgendjemand dazwischenfunken kann.
Das System ist darauf ausgelegt, dass zeitnah auf Veränderungen der aktuellen Situation reagiert werden muss. Viele Bosse verfügen über verheerende Spezialangriffe, vor deren Ausführung schleunigst in Abwehrhaltung gewechselt werden sollte, wodurch der Defend-Befehl hier löblicherweise tatsächlich einen Sinn ergibt. Da viele Monster diesen Befehl nicht kennen, oder nur das vom Timing her schwierige Ausweichen, muss zunächst die aktuelle Aktion abgebrochen, dann zum menschlichen Charakter gewechselt, und im Menü zu Defend weitergeschaltet werden. Das dauert nicht selten zu lange, um die Spezialattacke noch zu blocken.
Die in der Regel nutzlosen KI-gesteuerten Partymitglieder verteidigen von selbst meistens nicht, offensive und defensive Gruppenbefehle werden komischerweise erst viel später im Spielverlauf (sprich: nach einer Handvoll Bosskämpfe, in denen ich das verdammt gut gebraucht hätte) verfügbar. Und selbst dann muss noch für den manuell gesteuerten Charakter der Defend-Befehl ausgeführt werden. Die Gefährt*innen geben auch gerne mal den Löffel ab, was in der Regel wieder heißt: Das aktive Monster die aktuelle Aktion abbrechen lassen, zum Menschen wechseln, Gegenstand zur Wiederbelebung heraussuchen, Anwenden, und wieder zurück zum Monster umschalten.
Während dem Kampfablauf müssen die Augen überall hin gerichtet sein: Auf den Timer, der anzeigt, wann das aktuelle Monster ausgewechselt wird, auf die eigene Gesundheit und die Zauberpunkte, auf die Gesundheit der menschlichen Mitstreiter*innen (deren Zauberpunkte komischerweise nicht angezeigt werden, obwohl noch Platz dafür wäre), und auf das Verhalten der Gegner, vor allem in Bosskämpfen. Bei der kleinsten kritischen Veränderungen heißt es sofort, Aktionen abbrechen, Figur wechseln, sich schnell durch Menüs arbeiten, um die entsprechende Gegenmaßnahmen zu veranlassen, und dann irgendwie wieder zur eigentlichen Angriffstaktik zurückfinden. Das Ganze resultiert in einer Art von unkontrollierbarer Hektik, die mich einfach wahnsinnig macht.
Diese zentralen Kritikpunkte könnte ich noch irgendwie ignorieren, wenn trotz der Hetze und begrenzten Kontrolle über das Geschehen die Kämpfe noch irgendwie leicht zu bewältigen wären. Aber das ist nicht der Fall: Auch wenn es die drollige Optik nicht vermuten lässt, ist Ni no Kuni ein schwerer Brocken. Ohne die richtige Taktik grüßt häufig der Game Over Bildschirm, und selbst mit der richtigen Strategie ist wiederholtes Scheitern möglich. Da hilft nur Glück, oder Grinding. Die Einstellungsmöglichkeiten beschränken sich dabei auf den Schwierigkeitsgrad, doch selbst auf Leicht bleibt das Spiel frustrierend.
Während Ni no Kunis Kampfsystem in gewisser Sicht experimentell ist, erklärt das noch nicht, warum die Ausführung so widersprüchlich und durchwachsen ist. Für viele seiner Probleme haben andere, wesentlich ältere Spiele Lösungen parat, die hier schmerzlich vermisst werden: In den Titeln der Tales Reihe werden Befehle effizient per Tastenkombination losgetreten. Westliche Rollenspiele haben spätestens mit Might & Magic 6 die Möglichkeit eingeführt, Echtzeitkämpfe jederzeit zu pausieren, um in aller Ruhe die nächsten Schritte zu planen.
Die Kämpfe, vor allem Begegnungen mit Bossen, entwickeln sich schnell zu einer Blockade für alle, die einfach nur wissen möchten, wie die Geschichte weitergeht. Und außerhalb der Kämpfe ist auch nicht alles Gold: Die geizige Verteilung von Speicherpunkten, Breath of Firesque Questlinien mit für den Hauptplot irrelevanten Zielen und die Tendenz, jeden Dialog um 30% länger machen zu müssen als notwendig sind nur ein paar der Salzkörner, die das Spieldesign in die Wunde streut.
Alles in allem ist mir der Hype um Ni no Kuni völlig schleierhaft. Natürlich versprühen die präsentierte Welt, ihre Einwohner*innen und deren Geschichte den typischen Studio Ghibli Zauber. Allerdings wäre es wohl besser gewesen, aus dem Material einfach einen neuen Film zu machen, statt Level 5 ein Rollenspiel daraus bauen zu lassen, das weder bewährte Traditionen aufrufen noch neue Ideen zufriedenstellend umsetzen kann.