Schwarzes Schaf oder Meisterwerk?
Von manchen geliebt, von anderen gehasst: Kaum ein Spiel spaltet die Fan-Gemeinschaft so wie Final Fantasy VIII. Ich habe in meinem Leben beiden Lagern angehört. Daher kann ich einige Kritikpunkte durchaus verstehen, auch wenn es mittlerweile zu meinen absoluten Lieblingsspielen gehört.
Das Gameplay, und andere Missverständnisse
Eine kaum zu bestreitende Hürde ist das experimentelle Spielsystem, das etablierte Konventionen wie Magiepunkte und Ausrüstungen kurzerhand über Bord wirft, aber seine neuartigen Ansätze dann nicht ausreichend erklärt. Das Resultat ist eine oft “falsche” Spielweise, mit der das Ganze wenig Freude bereitet.
Die klassische Progression in den Final Fantasy Spielen sieht ja eigentlich so aus: Zu Beginn sind vor allem physische Angriffe das Mittel der Wahl. Dann gesellen sich Zaubersprüche dazu, die durchschlagkräftiger sind, aber dafür Magiepunkte verbrauchen. Schließlich werden mächtige Beschwörungen verfügbar, die alles in Grund und Boden stampfen - inklusive dem MP-Pool der Party.
Final Fantasy VIII dreht dieses Prinzip komplett auf den Kopf: Direkt am Anfang werden die ersten Beschwörungen – hier als Guardian Forces bezeichnet – freigeschaltet, die dann beliebig oft aufgerufen werden können und ordentlich Schaden verursachen. Unterstützend können Fähigkeiten erlernt werden, um die Guardian Forces noch schneller und stärker werden zu lassen. Das macht das Spammen von Beschwörungen zu einer von vielen legitimen Spielweisen, mit der sich tatsächlich ein Großteil des Spiels bewältigen lässt. Für Frust sorgt dabei natürlich, sich die imposanten, aber relativ langen und nicht überspringbaren Aufrufsequenzen immer wieder ansehen zu müssen. Und die Tatsache, dass spätere Bosskämpfe mit dieser Taktik nicht mehr zu schaffen sind.
Ebenfalls recht früh sind Zauber verfügbar. Diese werden anders als in anderen Rollenspielen nicht erlernt, sondern wie Gegenstände bei einzelnen Charakteren gelagert. Möglich macht dies der sogenannte “Draw”-Befehl, mit dem Zauber aus überall in der Welt verteilten Punkten sowie von Gegnern bezogen werden können. Gerade letzteres verleitet zu unlustigem “Drawgrind”, bei dem Gegner Runde um Runde ihrer Zauber erleichtert werden, bis die eigenen Vorräte endlich vollends aufgestockt sind.
Kaum ein Spiel spaltet die Fan-Gemeinschaft so wie Final Fantasy VIII.
Oft unbeachtet ist eine weitere, etwas versteckte Bezugsquelle von Zaubern, die wesentlich angenehmer ist. Durch verschiedene Wandlungsfähigkeiten, die von den Guardian Forces erlernt werden können, lassen sich von Monstern hinterlassene oder in Geschäften gekaufte Gegenstände sowie Karten des süchtig machenden Minispiels Triple Triad in Zaubersprüche verwandeln. Wenn früh darauf hingearbeitet wird, kann das lästige Gedrawe in Kämpfen weitestgehend vermieden werden.
Die gehorteten Zauber können natürlich in den Gefechten eingesetzt werden, wobei jeweils eine von maximal 100 Einheiten verbraucht wird. Doch das bringt zunächst wenig, denn um die Effektivität von Magie und auch physischen Angriffen auf ein brauchbares Maß zu steigern, sind sogenannte Kopplungen notwendig. Dabei werden Zaubersprüche an bestimmte Statuswerte gebunden, um diese zu erhöhen. Damit ersetzen Kopplungen in Final Fantasy VIII weitestgehend Ausrüstungsgegenstände. Erst mit entsprechend verbesserten HP- und Stärke- bzw. Magie-Werten werden die Charaktere als magische oder physische Kämpfer*innen überhaupt brauchbar.
Eine Alternative zum kompletten Verständnis dieses Systems gibt es nicht: Bloßes Grinden bringt nichts, da die Gegner stets mitleveln. Selbst die teilweise sehr starken Limitattacken, die bei niedriger Gesundheit verfügbar werden, bringen ohne entsprechende Kopplungen wenig. Und Guardian Forces nutzen auf der letzten CD kaum noch etwas.
Einmal durchblickt, erlaubt das Kopplungssystem allerdings auch viel Flexibilität. Element- oder Statuszauber verleihen entsprechend gekoppelt Schutz dagegen, oder fügen Gegnern Elementschäden oder Statusveränderungen zu. Über erlernbare Fähigkeiten der Guardian Forces lässt sich etwa die Zufallskampfrate auf die Hälfte reduzieren oder komplett deaktivieren, wofür die Spielbalance auch ausgelegt ist. Das System lässt sich außerdem auch wunderbar brechen. Etwa lassen sich früh erhältliche Heilgegenstände in starke Heilzauber wandeln. Wer sich geschickt anstellt, kann so bereits am Ende der ersten CD Charaktere mit 9999 HP heranzüchten. Und halbwegs anständig gekoppelte physische Statuswerte sorgen bereits dafür, dass die Limitattacken alles niedermähen.
Bloßes Grinden bringt nichts, da die Gegner stets mitleveln.
Nachdem ich in der Vergangenheit selbst über einige Fallstricke gestolpert bin, bis mir jemand in einem Internet-Forum erklärt hat, wie das Gameplay von Final Fantasy VIII eigentlich funktioniert, macht es mir inzwischen tatsächlich Spaß. In jedem Durchgang puzzle ich mir auf verschiedene Arten mein Repertoire an Zaubern, Abilities und Kopplungsvarianten zusammen, wodurch mir das Spiel über die Jahre und viele Durchgänge nie langweilig geworden ist.
Doch bei aller Freude gingen auch für mich einige Experimente daneben. Etwa die Waffenupgrades, die nur mit schwer erhältlichen Gegenständen zu bekommen sind, aber teilweise Limitattacken freischalten. Das ist für sich genommen zwar nicht verkehrt. Aber wenn ich ohnehin schon stark damit beschäftigt bin, mir Gegenstände zur Herstellung von Zaubern zu beschaffen, habe ich nicht unbedingt Lust, das Gleiche nochmal für bessere Waffen zu tun.
Einmal durchblickt, erlaubt das Kopplungssystem allerdings auch viel Flexibilität.
Auch das Geldsystem nervt mich eher, obwohl der Grundgedanke dahinter interessant ist: Da die meisten Charaktere der Söldner-Einheit SEED angehören, erhalten sie auch in regelmäßigen Abständen (gemessen anhand der gegangenen Schritte) ihren Sold, statt Geld unlogischerweise von erlegten wilden Tieren zu beziehen, wie das in vielen anderen Rollenspielen der Fall ist. Die Besoldungsstufe lässt sich allerdings nur über ein recht verstecktes Quiz im Menü erhöhen. Doch die zu beantwortenden Fragen sind selbst mir zu vertrackt, um sie nicht jedes verdammte Mal online in einer Tabelle nachschlagen zu müssen. Dazu kann die Stufe auch wieder sinken, wenn nicht zielorientiert gespielt wird. Wer also zu lange Aktivitäten abseits des Hauptpfades nachgeht, wird dafür bestraft.
Waffen und Geldverdienst hätten für mich also gerne klassischer ausfallen können. Ich kann auch nachvollziehen, dass sich nicht alle mit dem unkonventionellen Spielsystem anfreunden können, und finde selbst, dass es im Spiel nicht ausreichend erklärt wird. Aus meiner Sicht wird dadurch das Gameplay von Final Fantasy VIII aber oft schlechter gemacht, als es eigentlich ist.
Gefangen zwischen Traum, Wirklichkeit und Handlungslücke
Charaktere und Handlung sind ein weiterer Streitpunkt des Spiels. Ähnlich wie beim Vorgänger werden fantastische und futuristische Themen, hier unter anderem Hexenverfolgung und Zeitreisen, in ein komplexes Geflecht verwoben, das nur schwer entwirrt werden kann.
Wo Final Fantasy VII zumindest nach mehreren Durchgängen weitestgehend Sinn ergibt, und bei aller Abgedrehtheit noch irgendwie nachvollziehbar bleibt, werden die Handlungselemente von Teil VIII oft nur leidlich von Spucke und Gebeten zusammengehalten. Oder von “Liebe, Mut & Freundschaft”, wie es einmal buchstäblich im Spiel gesagt wird. Und an einer Stelle von einem Twist, der im Grunde so mies ist, dass sich selbst Filmemacher M. Night Shyamalan noch auf dessen Niveau herunterarbeiten müsste.
Ähnlich wie beim Vorgänger werden fantastische und futuristische Themen, hier unter anderem Hexenverfolgung und Zeitreisen, in ein komplexes Geflecht verwoben, das nur schwer entwirrt werden kann.
Im Zentrum der Geschichte steht ein weiteres Problem: Squall Leonhart. Nach außen hin so nahbar wie ein Block Granit, und emotional so stabil wie ein Album von My Chemical Romance, wirkt er fast schon wie eine Parodie des damals in Mode gekommenen äußerlich schroffen, aber innerlich labilen Protagonisten.
Während Squall seine Mitmenschen anschweigt oder anschnauzt, dürfen wir Textbox über Textbox seine merkwürdigen und zerbrechlichen Gedanken nachlesen, und fast vier CDs warten, bis er sich dank seiner aufkeimenden Zuneigung zur verwöhnten Offizierstochter Rinoa zu einer halbwegs normalen Persönlichkeit entwickelt.
Im Zentrum der Geschichte steht ein weiteres Problem: Squall Leonhart.
Und doch möchte ich eine Lanze (oder Gunblade?) für Squall brechen: Wer früher kein verschlossener, labiler Teenager war, werfe den ersten Hotdog! Und wer windet sich nicht manchmal durch düstere Gedankenspiralen, in Embryonalstellung, alleine, auf dem Bett, auch als Erwachsener? Auf die Gefahr hin, dass das nicht das beste Licht auf mein Leben wirft, kann ich zumindest irgendwie mit Squall mitfühlen.
Während sich Squall und seiner charakterlichen Entwicklung noch ganz gut folgen lässt, ist das in der überfrachteten Rahmenhandlung leider nicht immer der Fall. Trotz zahlreicher Durchgänge verstehe ich viele Elemente der Geschichte immer noch nicht ganz. Wieso zettelt Galbadia einen Krieg an, nur um einen Sendemast zu besetzen? Warum träumt Squalls Erzrivale davon, ein Hexenritter zu werden? Zu welchem Zweck werden Squall und die anderen in verschiedene Episoden von Lagunas Vergangenheit geschickt? Falls es dafür Erklärungen gibt, haben sie sich mir zumindest noch nicht vollends erschlossen.
Doch auch wenn der Mörtel zwischen den Bausteinen der Geschichte brüchig ist, verleidet mir das nicht die Freude an den einzelnen Szenarien, die ich immer noch großartig finde. Es sind ja ohnehin genau diese denkwürdigen Momente, die mir an der Final Fantasy Reihe so gut gefallen: Kämpfe gegen einen übermächtigen Waffenmeister zu treibender Rockmusik, drei durch den Schnee stapfende magiebetriebene Roboter mit melancholischen Tönen im Hintergrund, ein Bosskampf in einem Außenaufzug eines Wolkenkratzers.
Und Final Fantasy VIII hat eine ganze Reihe einprägsamer Augenblicke: Die mitreißende Landung in Dollet, der witzige Tanz von Rinoa und Squall, und die unheilschwangere Hexenparade, um einmal drei Beispiele nur von der ersten CD zu nennen. Es sind genau diese Szenarien, auf die ich mich bei jedem Durchgang aufs Neue freue.
Wer früher kein verschlossener, labiler Teenager war, werfe den ersten Hotdog!
Dass die Geschichte nicht lückenlos erklärbar ist, hat für mich auch seinen Reiz und bewahrt dem Ganzen ein gewisses Mysterium. Ein Umstand, der auch faszinierende Fan-Theorien hervorgebracht hat. So soll nach einer davon Squall bereits nach der ersten CD gestorben sein, was den Rest des Spiels zu seinem Todestraum machen würde. Nach einer anderen Theorie soll es sich bei Antagonistin Artemisia in Wahrheit um eine verbitterte Alternativzukunft von Rinoa handeln. Beide Theorien wurden offiziell dementiert, wohlgemerkt ohne die aufgeworfenen Fragen anderweitig zu beantworten.
Fakt ist, dass es in Final Fantasy VIII – mit oder ohne Absicht – jede Menge (alb-)traumhafte Bilder und Symbole gibt, die nicht durch Informationen aus dem Spiel erklärt werden. Die Krönung davon ist der Abspann, der ähnlich wie viele David Lynch Filme mehr wie Illusion als Wirklichkeit wirkt, und mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Aus diesen Gründen wird es für mich – trotz aller unbestreitbaren Ungereimtheiten – auch nie langweilig, mich mit der Story dieses Spiels zu beschäftigen.
Ein Fest für die Sinne
Recht unstrittig ist immerhin die tolle Präsentation des Spiels. Nach dem etwas unbeholfenen ersten 3D Anlauf in Final Fantasy VII verschmelzen hier realistisch proportionierte Charaktere, detaillierte Hintergründe und vorgerenderte Zwischensequenzen zu einem cineastischen Erlebnis aus einem Guss. Zumindest, wenn wir die verschlimmbesserte Remastered Version außen vor lassen.
Mir persönlich gefallen vor allem die Charakterdesigns von Tetsuya Nomura, die noch einmal schön stylish daherkommen, bevor seine Entwürfe in späteren Spielen zusehends eine Parodie ihrer selbst werden sollten. Auch von der Spielwelt bin ich ein großer Fan. Erneut werden hier wild Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander vermengt. War der Fokus in Teil VI noch eher auf dem mittelalterlichen Anteil und in VII auf einer alternativen Version unserer Moderne, legt Final Fantasy VIII den Schwerpunkt eher auf futuristische Aspekte.
Dass die Geschichte nicht lückenlos erklärbar ist, hat für mich auch seinen Reiz und bewahrt dem Ganzen ein gewisses Mysterium.
Der Soundtrack zeigt den damaligen Stammkomponisten Nobuo Uematsu auf einem absoluten Höhepunkt seines Schaffens. Egal ob epische Stücke mit Chor und Orchester, herzerwärmender Walzer oder Kampfthema im Technogewand: Uematsu wechselt die Genres hier so leichtfüßig und häufig, wie ich angefangene Spiele abbreche.
So bin ich nach all den Jahren froh, mich nach anfänglichen Widerständen in das Gameplay und die Geschichte eingefunden zu haben, und vollends in die fantastisch inszenierte Welt von Final Fantasy VIII abtauchen zu können, von der ich inzwischen kaum genug bekomme.