Das Taro-Kartendeck
Als Voice of Cards: The Isle Dragon Roars von Square Enix angekündigt wurde, hätte es mir ehrlich gesagt kaum egaler sein können. Ein Kartenspiel vom NieR- und Drakengard Schöpfer Yoko Taro? Das klang für mich zunächst wie eine Kombination, um die ich persönlich einen weiten Bogen machen würde.
Zum einen bin ich kein Fan von kartenbasierten Mechaniken in Videospielen, zum anderen kann ich den Hype um Yoko Taros Werk leider gar nicht nachvollziehen. Doch nach dem Anspielen der Demo wurde mir schnell klar, dass der Schein trügt. Voice of Cards ist zumindest spielmechanisch überhaupt kein Kartenspiel. Und es ist im weitesten Sinne auch kein Yoko Taro Spiel.
In der Welt von Voice of Cards wird alles durch Spielkarten repräsentiert: Charaktere, Monster, Skills und Ausrüstungsgegenstände existieren alle in Form hübsch illustrierter Karten. Auch sämtliche Umgebungen – die Oberwelt, Städte, Verliese – werden aus einzelnen Karten zusammengelegt. Abgerundet wird die Darstellung vom Spiel im Spiel von der durch eine bewegliche Spielfigur repräsentierte Party, einem Kampfbildschirm in Form eines ins Bild gereichten Tisches und geworfenen Würfeln für bestimmte Aktionen. Und für die gehörige Portion Pen & Paper Atmosphäre sorgt die Vertonung sämtlicher Geschehnisse und Dialoge durch einen Erzähler, der quasi den Game Master mimt.
Das alles betrifft allerdings nur die audiovisuelle Darstellung. Vom Gameplay her ist Voice of Cards ein reguläres klassisches japanisches Rollenspiel mit rundenbasierten Kämpfen. Mit Deckbuildern und ähnlichem hat das ganze hier tatsächlich fast nichts zu tun. Ein echtes Kartenspiel gibt es nur als rein optionale Nebentätigkeit. Voice of Cards ist in dem Sinne also nicht mehr Kartenspiel als Final Fantasy VIII.
Natürlich verleiht die gewählte Form der angestaubten JRPG-Formel eine gewisse Frische. Beim Erkunden werden die umliegenden Karten aufgedeckt, was den interessanten Nebeneffekt hat, dass immer klar ist, welche Bereiche noch nicht betreten worden sind. Im Kampf fliegen die Karten, die Helden wie Feinde repräsentieren, nur so durch die Gegend, oder werden durch Statuseffekte rissig oder überklebt. Und Todesszenen werden dramatisch durch das Drehen auf die Rückseite dargeboten.
Voice of Cards ist also kein Kartenspiel, aber wieso ist es aus meiner Sicht kein Yoko Taro Spiel? Das liegt daran, dass viele seiner typischen Stilmittel – das wilde Vermischen verschiedener Genres, subversive und provozierende Designentscheidungen, bewusst eingebaute Repetition und melankitischige Musik – hier kaum vorhanden sind.
Stattdessen wird sich komplett darauf konzentriert, ein konsistentes und angenehm spielbares klassisches Rollenspiel zu liefern. Und im Gegensatz zu ähnlichen Versuchen wie 4 Heroes of Light oder Bravely Default gelingt hier auch der Spagat zwischen der Simplizität aus alten Tagen und moderner Zugänglichkeit.
Ein echtes Kartenspiel gibt es nur als rein optionale Nebentätigkeit. Voice of Cards ist in dem Sinne also nicht mehr Kartenspiel als Final Fantasy VIII.
Das Spielsystem ist simpel, es ist immer klar, wo es als nächstes hingeht, es muss nicht gegrindet werden, es lässt sich fast immer speichern und das ganze ist auch unter 20 Stunden zu schaffen. Allenfalls die manchmal etwas häufigen und behäbig ablaufenden Kämpfe könnte ich ankreiden, wobei da ein etwas versteckter Hochgeschwindigkeitsmodus hilft, den ich nicht mal benutzt habe.
Die Geschichte bleibt fokussiert und wird innerhalb eines Durchgangs abgeschlossen. Die verschiedenen Enden hängen einzig an einer späten Entscheidungsmöglichkeit, und einer recht offensichtlichen und jederzeit nachholbaren Nebenmission, was alles auch direkt vom Spiel kommuniziert wird. Im Gegensatz zum restlichen Yoko Taro Oevre ist das hier ein “nettes” Spiel, das extra so gestaltet wurde, um eine möglichst gute Zeit zu bieten.
Natürlich muss an der Stelle trotzdem die Frage in den Raum gestellt werden: Ist es denn überhaupt noch die Yoko Taro MaStErPiEcE Experience, wenn ich mich nicht zu plärrenden Chören mit hakeliger Steuerung und chaotischer Kamera ständig durch die gleichen Missionen quäle? Oder ist das wie beim Underground Black Metal, der seine wahre Schönheit ausschließlich in einem zigfach kopierten und zerschlissenen Demo-Tape entfaltet? Ich weiß es nicht.
Aber ohne die ganzen für mich eher unangenehmen Aspekte konnte ich auch endlich mal in den Genuss von Taros spezieller Ideenwelt kommen. Voice of Cards steckt voller skurriler und interessanter Charaktere, und die vielzitierte “emotionale Achterbahnfahrt” kommt auch hier in einigen raffinierten und traurigen Wendungen zum Tragen.
Mein Lieblingsaspekt ist die Sammlung an Charakter- und Monsterkarten, denen im Spielablauf begegnet wird. Im Menü lassen sich zu jeder Figur Beschreibungstexte durchlesen, was der Welt noch einmal zusätzliche Fülle verleiht. Natürlich gibt es dazu einen Zwist: Durch bestimmte Bedingungen lässt sich ein zusätzlicher Text auf der Kartenrückseite freischalten, der weitere interessante, seltsame oder traurige Details offenbart. Ein Feature, durch das ich mich vollends in der Welt von Voice of Cards verloren habe. Einer Welt, die ich als Dragon Quest auf Absinth beschreiben würde.
Am Ende hat sich das Spiel, mit dem ich ursprünglich absolut nichts zu tun haben wollte, zu einem meiner liebsten Rollenspielerfahrungen gemausert. Schön, mal so eine positive Überraschung zu erleben. Noch skeptisch? Dann empfehle ich, zumindest mal die kostenlose Demo auszuprobieren (und für einen zusätzlichen Twist auch zu Ende zu spielen, bevor es ans Hauptspiel geht).